Die Form der Nachricht vom Tod des Regisseurs Dieter Wedel verrät bereits einiges über die tragische Dimension, die weit über die Trauer hinausgeht. Übermittelt hat sie das Landgericht München I, wo seit mehr als einem Jahr ein Strafverfahren gegen Wedel anhängig war, nachdem die Staatsanwaltschaft Anklage wegen der Vergewaltigung einer Schauspielerin erhoben hatte. Aus der medialen Öffentlichkeit, in der Wedel einst ein gern gesehener und überaus eloquenter Gesprächspartner war, war er seit 2018 weitgehend verschwunden, nachdem im Zuge der MeToo-Bewegung mehrere Schauspielerinnen und ehemalige Mitarbeiter Vorwürfe sexueller Gewalt gegen ihn erhoben hatten. Sein fordernder, nicht selten herrischer Regiestil war in der Branche kein Geheimnis. Fortan aber ging es nicht länger um in der breiten Öffentlichkeit geflissentlich übersehene, sich bis zum Jähzorn steigernde Unbeherrschtheit, es ging um Straftatvorwürfe, deren juristische Verfolgung sich aufgrund von Verjährungsfristen als schwierig gestaltete. Noch im Dezember 2021 wurde seitens des Gerichts bekannt gegeben, dass noch immer nicht entschieden sei, ob es zu einem Prozess kommen werde. Den Angaben des Münchner Landgerichts zufolge ist Wedel bereits am 13. Juli im Alter von 82 Jahren in Hamburg gestorben.
Von seinem furiosen Ruf als Regisseur war zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn zunächst wenig zu spüren. Er begann Mitte der 1960er-Jahre als Arrangeur von Hörspielen bei Radio Bremen und wechselte wenig später zum Norddeutschen Rundfunk (NDR) in die Abteilung Fernsehspiel. Zwar war der öffentlich-rechtliche Rundfunk in dieser Zeit ein bedeutender Geburtshelfer bei vielen Filmproduktionen, das Fernsehen selbst aber wurde von großen Teilen der ambitionierten deutschen Filmszene, die sich aus dem Image-Korsett von Opas Kino zu befreien versuchte, eher belächelt. Das hinderte Dieter Wedel nicht daran, seine Filmideen ganz ausdrücklich für das Fernsehen zu realisieren. Nach „Gedenktag“, einem Film über die Aufstände zum 17. Juni 1953 aus dem Jahr 1970, folgte zwei Jahre später der Durchbruch mit dem Dreiteiler „Einmal im Leben“, in dem Wedel am Beispiel der fiktiven Familie Semmeling die gesellschaftlichen und sozialen Abgründe durchspielte, die sich beim Bau eines Eigenheims ergeben können.
Ein besonderer Blick für Milieustudien
In diesem Film sind bereits alle Merkmale versammelt, die Wedel in späteren Filmen und Serien mit besonderem Gespür für die Beobachtung einfacher Menschen beim Bestehen, aber auch dem Scheitern in ihren sozialen Verhältnissen verfeinerte. Die Tragikomik der Semmelings kombinierte Wedel mit Wissenswertem über die zeitgenössische Baubranche, die die individuellen Träume der Häuslebauer schamlos auszunutzen verstand. Sozialkritik ging hier einher mit feinfühliger Milieubeschreibung, für die Wedel insbesondere auch die Form des Fernseh-Mehrteilers für seine Art der Filmnarration zu nutzen wusste.
Die Semmelings ließen Wedel auch im weiteren Verlauf seiner Karriere nicht los. Vier Jahre nach dem Publikumserfolg mit „Einmal im Leben“ ließ er seine bereits hinreichend erprobte Familie in „Alle Jahre wieder“ die Leiden am Urlaub durchleben, und mit der „Affäre Semmeling“ versuchte er sich 2001 an einer Auseinandersetzung mit der deutschen Finanzbürokratie. Die Verknüpfung von Erzählkino und sozialkritischer Recherche wie sie Hollywood in einem Film wie „Erin Brockovich“ mit Julia Roberts erfolgreich umsetzte, hatte zumindest im deutschen Sprachraum in Dieter Wedel einen Pionier gefunden.
Nach Ausflügen ans Theater kehrte Wedel als Regisseur großer Gesellschaftspanoramen zurück, die nun auch hinsichtlich des ihm zur Verfügung stehenden Personals die Konkurrenz zum großen Erzählkino nicht scheuen musste. Die Kaufhaus-Serie „Der große Bellheim“ wurde mit Mario Adorf, Ingrid Steeger, Leslie Malton, Dominique Horwitz, Heinz Hoenig und vielen anderen 1992 zu einem überwältigenden Publikumserfolg. Der Vierteiler schildert den Niedergang eines unternehmergeführten Traditionskaufhauses, das angesichts eines immer aggressiver werdenden Konkurrenzkampfes unter die Räder zu kommen droht und sich mit den Mitteln der Fürsorge und des Zusammenhalts zu wehren versucht. Wedels „Bellheim“ ist nicht zuletzt ein von sozialromantischer Verve getragener Nachruf auf die Ideale des deutschen Wirtschaftswunders. Dem Vorwurf der Verklärung vermochte er mühelos durch die Brillanz seiner Schauspielerführung zu entgehen, in der die Akteure der Film- und Kaufhausfamilie gewissermaßen miteinander verschmelzen zu scheinen. Obwohl die Nachfolgeprojekte „Der Schattenmann“ (1995) und „Der König von St. Pauli“ (1998) ähnlich angelegt waren und zum Teil mit denselben Schauspielern als Kriminalitäts- und Milieustudien abgedreht wurden, vermochten diese den Erfolg des „großen Bellheim“ nicht mehr zu übertreffen. Als Mann, der das Fernsehen liebt, hatte Dieter Wedel alle Register gezogen und war seither einer der prominentesten deutschen Regisseure, dessen Pläne bereits in der jeweiligen Vorbereitung viel Aufmerksamkeit erfuhren.
Er sah sich als Opfer einer Hexenjagd
Von 2002 bis 2014 leitete Wedel, der neben fünf weiteren Ehen auch mit der Schauspielerin Hannelore Elsner verheiratet war und mit ihr einen Sohn hat, die Nibelungenfestspiele in Worms, zunächst als Regisseur, später als Intendant in Zusammenarbeit mit der Theaterregisseurin Karin Baier sowie ihrem Kollegen Gil Mehmert. Bald nach der Übernahme der Intendanz in Worms war es zum Bruch mit seinem langjährigen Starschauspieler Mario Adorf gekommen, der Wedel nach eigener Darstellung nach Worms geholt hatte, sich dann aber von dessen Ehrgeiz, die Festspiele in Alleinregie zu verantworten, abgestoßen fühlte. Von Worms wechselte Wedel 2015 zu den Festspielen in Bad Hersfeld, ehe er 2018 mit schweren Vorwürfen sexueller Gewalt konfrontiert wurde. Laut Angaben aus seinem Umfeld erlitt er bald darauf einen Herzinfarkt.
Von Maria Windisch
Dieter Wedel
20.07.2022
Im August 2019 gab Wedel dann, sichtlich erholt, auf der Terrasse des Bad Hersfelder Hotels Thermalis einem lokalen Extrablatt ein Interview, in dem er auch auf die Vorwürfe von 2018 eingeht und beklagt, dass diese sich teilweise auf mehr als 30 Jahre Zurückliegendes beziehen würden und nicht bewiesen seien. Im Verlauf des Gesprächs, in dem Wedel sich demonstrativ gut gelaunt präsentierte, fiel aus seinem Mund das Wort Hexenjagd. Vielleicht habe er sich falsch verhalten, räumte er in dem Interview ein. Aber nicht in dem Sinne, wie es behauptet werde. Über die Leiden seiner mutmaßlichen Opfer spricht er nicht.
Und so besteht die Tragik des Todes von Dieter Wedel über dessen Bewertung als Künstler und Regisseur hinaus darin, auf exemplarische Weise Gegenstand von Anschuldigungen geworden zu sein, deren juristische Klärung bis heute aussteht.